Allgemein | 05.03.2022

Fachärzt*innen und ihre Erfahrungen – Geriatrie

Erfahrungen miteinander teilen, voneinander lernen und gegenseitig inspirieren. Das möchten wir mit unseren Facharzt-Serie bewirken. Darin erzählen immer wieder verschiedene Ärzt*innen von ihrem Weg zum Facharzt.

Dipl. Arzt Markus Minder ist ärztlicher Leiter und Chefarzt im Zentrum für Altersmedizin und Palliative Care, Spital Affoltern und FMH Allgemeine Innere Medizin Schwerpunkt Geriatrie und interdisziplinärer Schwerpunkt Palliativmedizin.

Markus, was fasziniert Dich an Deinem Beruf?
Ich bin sehr dankbar, dass ich das Medizinstudium machen durfte und gemacht habe. Ich stehe am Morgen auf und gehe meistens gerne zur Arbeit. Ich hatte noch nie das Gefühl, eine sinnlose Arbeit zu machen, den Menschen helfen zu können ist wunderbar. Bei den Spezialgebieten der Geriatrie und der Palliative Care fasziniert mich die Komplexität der Patient*innen in den verschiedenen Dimensionen (neben körperlich, auch psychisch sozial, funktionell und spirituell), das Erstellen eines individuellen Therapieplanes, das Auseinandersetzen mit komplexen Entscheidungsfindungen, der hohe Stellenwert der kommunikativen Fertigkeiten, die Beziehungsarbeit und die gelebte interdisziplinäre und interprofessionelle Zusammenarbeit. Bei der Arbeit am Spital schätze ich die Zusammenarbeit im Team, den regelmässigen Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen der anderen Disziplinen als auch die Lehrtätigkeit an Fachhochschulen und externen Institutionen sowie die Zusammenarbeit mit Studenten, Assistenten und Pflegenden. Zunehmend mit dem Aufstieg der kaderärztlichen Funktionen kommen mehr und mehr Management-Tätigkeiten dazu, was ich auch äusserst spannend finde. Alles in allem schätze ich die Vielfältigkeit in meinem Beruf sehr.

Wer oder was inspirierte Dich, Deiner Fachdisziplin nachzugehen?
Dies sind natürlich verschiedene Schlüsselereignisse in meiner Laufbahn. Während meiner Assistenzzeit hatte ich mehrere Kaderärztinnen und Kaderärzte, welche mich prägten, mein Menschenbild formten und meine Faszination auf meine Fachdisziplinen vertieften. Einen hohen Stellenwert hat sicherlich mein Mentor Roland Kunz, mit welchem ich lange zusammenarbeitete, von welchem ich viel lernte und welcher mich förderte.
Wichtig war auch, dass ich merkte, dass ich genau diese Arbeit gerne und gut mache. Bereits nach der Matura habe ich vor dem Studium vier Monate als Pflegehilfe in einem städtischen Pflegeheim gearbeitet, wo ich merkte, dass ich die Arbeit mit diesen multidimensional kranken, polymorbiden gebrechlichen Patienten sehr gerne mache, die Arbeit mich faszinierte und mich im Verlauf nicht mehr losliess.

Wie würde für Dich ein perfektes Leben als Arzt aussehen?
Ist es dies nicht? Nein, natürlich ist nicht alles perfekt. Wünschenswert wäre definitiv die Reduktion der administrativen Aufgaben, die Verminderung der mühsamen Rechtfertigungen gegenüber den Krankenkassen, warum gewisse Patienten nun eine Therapie brauchen oder eine Hospitalisation induziert ist, wenn der enorme Kostendruck im Gesundheitswesen weniger wäre und natürlich wünschte ich mir teilweise mehr Zeit für meine Familie und meine Freunde. Am Abend merke ich teilweise schon, dass ich auch mental nach einem anstrengenden Tag müde bin und die Batterien leer sind.

Der beste Moment in der Klinik ist …
Dies ist sehr unterschiedlich. Zum Beispiel wenn man dem Patienten helfen konnte, ganz allgemein, wenn es gut läuft, wenn die Patienten und die Angehörigen zufrieden sind und positive Rückmeldungen geben, eine positive Stimmung im Team herrscht, wenn das Team qualitativ hochstehend arbeitet.

Teambuilding in der Klinik ist …
Gelebte Wertschätzung untereinander. Regelmässiger Austausch im Team. So haben wir einmal pro Woche einen fixen Austausch im Kaderteam als auch mit den Assistenzärzt*innen, um Probleme frühzeitig anzugehen respektive rasch Lösungen zu finden wie z. B. Prozess-Optimierungen. Bei uns ist das gemeinsame Mittagessen im Team wichtig, sowie 1x pro Woche Glace essen im Team am Nachmittag, regelmässige Teamausflüge und regelmässig Rückmeldungen geben.

Gutes Leadership bedeutet für mich …
Ich bin fest davon überzeugt, um Höchstleistung im Team erreichen zu können, ist ein gutes Arbeitsklima Voraussetzung und wenn sich die einzelnen Teammitglieder wohl fühlen bei der Arbeit. Als Leader hat man eine Vorbildfunktion und sollte das Geforderte auch selbst leben.
Eine wertschätzende Haltung den einzelnen Team-Mitgliedern gegenüber, Verantwortung übergeben, sowie auch eine gewisse Freiheit lassen sind wichtige Faktoren. Ein konstruktives Arbeitsklima schaffen, wo auch Fehler erlaubt sind, diese aber besprochen und so auch in Zukunft vermieden werden können. Ein Arbeitsklima, das auch möglich macht, seine persönlichen Grenzen offen darzustellen.

Zur Fachdisziplin Geriatrie

Was ist für Dich besonders in Deiner Fachdisziplin?
Bei den geriatrischen, wie auch palliativ-medizinischen Patienten handelt es sich um komplexe, häufig polymorbide Patienten mit multidimensionalen Problemen. Im Zentrum steht der ganze Mensch mit seinem Umfeld, seinen Werten, seinen Zielen, seinen Ressourcen und Bedürfnissen und benötigt entsprechend einen individuellen Therapieplan. Die Guidelines müssen zwar bekannt sein, häufig muss aber aufgrund der Polymorbidität ein individueller Weg eingeschlagen werden. Ausserdem finde ich auch die komplexe Entscheidungsfindung besonders, immer muss eine Risiko-/Nutzenabwägung einer Therapiemassnahme – z.B. einer Chemotherapie oder die Operationsindikation – genau abgewogen werden. Es stellt sich immer wieder die Frage des übergeordneten Therapiezieles des Patienten. Wichtige Kernkompetenzen sind die Kommunikation und die Beziehungsarbeit. Es fasziniert mich, und ich bin auch dankbar, teilhaben zu dürfen an den verschiedenen spannenden Lebensgeschichten der Patient*innen. Die interprofessionelle und interdisziplinäre Zusammenarbeit finde ich äusserst spannend und bereichernd. Komplexe Austrittsplanung, gute Zusammenarbeit im regionalen Netzwerk, um auch schwierige Situationen zu Hause weiter ermöglichen zu können. Ich lache sehr viel in meinem Alltag, bekomme positives Feedback durch die Betroffenen, aber auch durch die Angehörigen, was letztendlich sehr bereichernd und befriedigend ist.

Gibt es eine Fähigkeit/Stärke, die eine Voraussetzung für Deine Fachdisziplin ist?
Breites internistisches Wissen, Freude an polymorbiden multidimensionalen komplexen Patienten. Bei diesen Patienten einen Therapieplan aufgrund der übergeordneten Behandlungszielen und entsprechend Prioritäten bezüglich Problemstellungen zu erstellen.
Selbstverständlich auch die Freude an der Kommunikation. Kommunikation auch von schwierigen Themen wie z. B. über das Sterben oder über den bevorstehenden Tod, aber auch Kommunikation mit anderen Professionen auf Augenhöhe, eine Sprache zu sprechen, die alle verstehen, was nicht immer einfach ist.

Gab es Stolpersteine in Bezug auf das SIWF Weiterbildungsprogramm, z.B. bei der Facharztanerkennung, Standortbestimmung), die Du mit Deinen Berufskolleg*innen teilen möchtest?
Allgemein rate ich eine frühzeitige Laufbahnplanung. Es handelt sich um einen langen Weg und es ist dann ärgerlich, wenn der Schwerpunkttitel aufgrund fehlender Kongresse oder fehlender Fortbildungsstunden in der Palliativmedizin noch nicht anerkannt wird. Beim Schwerpunkttitel Geriatrie frühzeitig die geforderte Gerontopsychiatrie respektive Psychiatrie planen. Immer wieder müssen potentielle Oberärztinnen oder sogar Leitende Ärztinnen ihre Kaderstelle verlassen, da ihnen die sechs Monate Psychiatrie noch fehlen.

Gibt es speziell erwähnenswerte Stellen oder gute Weiterbildungskurse auf dem Weg zum FA, die Du hervorheben möchtest?
Natürlich unsere Klinik… Aber Spass bei Seite, die Ausbildung der Assistenzärzt*innen hat bei uns einen sehr hohen Stellenwert und ich glaube, wir bieten für angehende Kolleginnen und Kollegen zum Schwerpunkttitel Geriatrie (Weiterbildungsstätte A) und zur Ausbildung des interdisziplinären Schwerpunktes Palliativmedizin ein abwechslungsreiches und fundiertes Weiterbildungsprogramm.

Der Weg zum/r Oberarzt*ärztin

Denkst Du, Frauen haben es schwerer?
Bei uns im Team sind die Mehrheit Ärztinnen. Medizin wird mehr und mehr zu einem Frauenberuf. Ich denke, die grosse Herausforderung beim Erlangen des fundierten Fachwissens ist mehr die Teilzeitarbeit, sei dies nun bei Männern oder Frauen. Bei unserem komplexen Beruf zählt die Erfahrung, das heisst, bei Teilzeitarbeit geht die Ausbildungszeit entsprechend länger.
Im stationären Setting ist Teilzeitarbeit zum Beispiel aufgeteilt auf zwei Stationsärztinnen (z. B. à 50%/50% oder 60%/60%) bei gleicher Qualität herausfordernd, gerade bei so komplexen Patienten wie in der Geriatrie, respektive Palliativmedizin. Bei uns in der Klinik biete ich zwei Arten von Teilzeitarbeit an. Einerseits zwischen 80-90% (das heisst 1 Tag pro Woche wird eine Abteilungsärztin durch einen Kolleg*in ersetzt), oder 50%/50%, wobei hier die Voraussetzung ist, dass bereits über eine gewisse klinische Erfahrung verfügt werden muss, das heisst, dass dies erst gegen Ende der Assistenzzeit möglich ist.

Was würdest Du einem jungen Assistenzarzt*Ärztin mit auf den Weg geben?
Die ersten paar Monate nach dem Studium im Spital, unabhängig von der Fachrichtung, sind schwierig. Es kommt immer wieder das Gefühl auf, man packt das nie. Diese Gefühle sind jedoch normal. Man packt es und die Abläufe gehen einfacher und speditiver nach einer gewissen Entfaltungszeit. Bei Unsicherheiten oder Unklarheiten immer zuständige Kaderärzte fragen, lieber einmal zu viel, als zu wenig. Auch Chefärzt*innen haben in der Assistenzzeit Fehler gemacht. Achtet auf ein gutes Zeitmanagement im Tagesablauf. Wenn viel läuft, Aufgaben priorisieren und triagieren, was am selben Tag gemacht werden muss und was auch am nächsten Tag noch erledigt werden kann.

Was waren Deine persönlichen Herausforderungen auf Deinem Weg?
Ehrlich gesagt habe ich recht Glück gehabt und alles lief weitgehend so wie ich es mir gewünscht hatte.

War die Weiterbildung schwer oder wurdest Du stets unterstützt?
Keine meiner Assistenzstellen lösen bei mir negative Gefühle aus, ich fühlte mich eigentlich an den Stellen getragen und unterstützt.

Strebst Du an, Chefarzt zu werden?
Eigentlich war es nie mein Plan, Chefarzt zu werden. Jetzt habe ich sogar noch das Amt des Ärztlichen Leiters des Spitals übernommen, was ich noch weniger plante… Aber die Arbeit und die Herausforderungen bereiten mir grosse Freude und ich habe bis anhin diesen Schritt nicht bereut.

Eine gute Oberärztin / ein guter Oberarzt ist …
Für die Assistenten da sein, wenn man gebraucht wird, seinen Assistenzärzten auch Freiraum und Entscheidungsraum lassen. Lebt vor, wie speditives Arbeiten geht, lernt die Assistenzärztinnen und -Ärzte Prioritäten zu setzen, Zeitmanagement zu optimieren, empathisch zu den Patienten sowie zu den Angehörigen zu sein, verfügt über ein fundiertes Fachwissen und lebt eine wertschätzende Haltung gegenüber anderen Professionen vor.

Persönlich

Wie gehst Du mit Stress um?
Genau gleich wie ich es auch versuche meinen Assistenzärzten und meinen Oberärztinnen vorzuleben. Prioritäten setzen, speditives Arbeiten, gutes Zeitmanagement, regelmässig auch Pausen einbauen. Wie erwähnt ist dabei das gemeinsame Mittagessen enorm wichtig, auch wenn sehr viel läuft, muss das möglich sein. Die Arbeit am besten auch vor zu abarbeiten, z.B. durch regelmässiges bearbeiten der Mails um die Mailflut im Schach zu halten. Wenn der Tag startet und man sieht, man hat 300 zu bearbeitende Mails, beginnt der Tag schlecht und der Stress ist entsprechend hoch. Wichtig ist auch, delegieren und Verantwortung abgeben zu können, Vertrauen haben in die Fertigkeiten der anderen Teammitglieder.

Was sind Deine grössten Erfolge?
Dass mich Roland Kunz vor 12 Jahren als junger Oberarzt hier am Spital Affoltern angestellt hat. Unsere Klinik war noch nicht vorhanden. Zusammen mit ihm haben wir die Palliativstation Villa Sonnenberg aufgebaut, zwei Jahre später die Akutgeriatrie gegründet, welche nun zur zweitgrössten Klinik im Kanton heranwuchs. Wir konnten eine einmalige akutgeriatrische Spezialstation für demente und delirante Patienten eröffnen, Aufbau eines Konsiliardienstes am Stadtspital Triemli und Kantonsspital Zug, Aufbau der Memory Clinic usw. Ich bin wirklich stolz auf mein Team, die Klinik läuft gut, ich denke wir können eine gute Patienten- und Versorgungsqualität bieten bei zugleich guter Wirtschaftlichkeit.

Welche Fähigkeit besitzt Du, um Herausforderungen medizinisch und persönlich anzugehen?
Ich habe eine ruhige Grundstimmung, bin entscheidungsfreudig, kenne und akzeptiere meine persönlichen Grenzen und Schwächen und kann entsprechend Aufgaben delegieren. Man muss nicht alle Fäden in den Händen halten und auch ein gewisses Vertrauen in ein Team haben.

Wie gehst Du selbst zum Arzt? Redest du mit oder vertraust Du Deinen Kollegen?
Dies ist nicht so meine Stärke. Zum Glück ist dies bis anhin auch nicht notwendig gewesen. Mein Hausarzt wurde vor ca. 15 Jahren pensioniert und seither war ich nie mehr bei seinem Nachfolger. Aber ich bin recht stolz, zumindest meine augenärztliche Kontrolle habe ich vor ein paar Monaten gemacht. Bald ist die präventive Koloskopie fällig…

Was machst Du ausserhalb der Klinik oder zum Ausgleich am liebsten?
Die Zeit im vertrauten Umfeld geniessen sowie Gespräche führen. Wenn immer möglich in die Natur gehen, Wandern, Ski- oder Velofahren. Einen grossen Teil meiner Zeit neben der Arbeit verbringe ich mit meiner Frau und mit meinen drei Söhnen (zwischen 9 und 15 Jahre alt). Die Entwicklung meiner Söhne finde ich extrem spannend. Die Zeit mit der Familie ist für mich sehr bereichernd, teilweise aber auch herausfordernd. Definitiv hilft aber die Familie auch beim Ausgleich zum Alltag in der Klinik. Sobald ich die Türschwelle zu Hause überschreite, ist der Klinikalltag weg und meine volle Aufmerksamkeit ist bei der Familie.

Wir bedanken uns für den spannenden Einblick und das Gespräch mit Markus Minder!

Falls auch Du besondere Erfahrungen auf dem Weg zum FA/Oberarzt mit uns teilen möchtest, melde Dich gerne unter: kommunikation@vsao-zh.ch

Kommunikation VSAO Zürich

Für Fragen, Anregungen oder sonstige Informationen steht die Kommunikationsstelle des VSAO Zürichs für euch bereit.

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